von Lenja von Grawert
Müdigkeit und Aufregung liegen in der Luft, als wir, die Mitglieder des Orchesters der Fr.-v.Bodelschwingh Schulen, uns am 7.10. um viertel nach fünf zur Abreise nach Krakau auf unserem Schulhof versammeln. Diejenigen von uns, die nicht unter ihren Kapuzen des Reise-Pullis weiterschlafen, unterhalten sich leise über das, was uns in den kommenden Tagen erwartet, z.B. über den Aufenthalt in den polnischen Gastfamilien. Manche von uns hatten bereits, z.B. per Whatsapp, Kontakt mit ihren Gastgebern, andere noch nie mit ihnen gesprochen, manche nicht einmal Nachrichten ausgetauscht. Doch bisher überwiegt bei den meisten noch die Müdigkeit über die Aufregung.
Doch als wir dann, 13 Stunden später, gemeinsam durch die Flure der fremden Schule zum Meeting in der Konzerthalle laufen, sieht das ein wenig anders aus. Wir treffen dort unsere Gastgeschwister, schütteln bei der Begrüßung unter Applaus das erste Mal ihre Hände - alle noch ein wenig peinlich berührt. Doch das verfliegt schnell während des ersten Abendessens in den Gastfamilien: Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen – und Freundschaft bestimmt auch.
Auf dem Rynek Główny, dem berühmten Marktplatz von Krakau
In den nächsten Tagen verbringen wir viel Zeit in Krakau und seiner Umgebung, entweder gemeinsam mit unseren poln. Partner*innen oder nur mit unserem Orchester. Wir besuchen die Innenstadt, das jüdische Viertel Kazimierz, die Salzmine Wieliczka und das ehemalige Konzentrationslager Ausschwitz. Einige der Eindrücke, die wir dort sammeln sind bedrückend. Gerade im Hinblick auf die politischen Entwicklungen in Deutschland und in Polen.
Und als Gruppe wachsen wir weiter zusammen, sprechen auf der Reise mit Mitschüler*innen, mit denen wir sonst in Bielefeld weniger zu tun haben, lachen und singen zusammen – und in einigen Momenten schweigen wir gemeinsam. Und an den Nachmittagen werden wir von den gutgelaunten polnischen Schüler*innen begrüßt. Gemeinsam wird getanzt, gefeiert und gelacht.
„Stille Post“ auf Polnisch und Deutsch beim Kennenlernabend
Und natürlich auch geprobt.
Die Musik begleitet uns die ganze Woche. Neben vielen gemeinsamen Proben – in denen wir abwechselnd von dem polnischen Dirigenten Tomasz und unseren beiden Musiklehrern, Herrn Goldbeck und Herrn Günther dirigiert werden, (und immer zu langsam spielen …) – stellen wir unser Programm in zwei Konzerten vor. Das eine spielen wir allein, das andere gemeinsam mit unseren polnischen Freund*innen.
Einstimmen der Instrumente zum Abschlusskonzert
Das gemeinsame Musizieren im ca. 100 köpfigen poln.-dt. Orchester lässt uns immer mehr zusammenwachsen, und wir haben viel Freude daran. Sowohl am Musizieren an sich, als auch an der spürbar zunehmenden Verbindung zwischen uns Musiker*innen. Wer läuft denn nicht gerne durch Krakau, während alle lautstark ein Thema aus Dvořáks 9. Symphonie singen?
Dieses Projekt, das finanziell vom Deutsch-polnischen Jugendwerk und der Jeunesses Musicales Deutschland unterstützt wurde, und die Musik lassen neue Freundschaften entstehen – unabhängig davon, dass normalerweise 1000 Kilometer zwischen uns liegen, wir unterschiedliche Werte erlernt haben und unterschiedliche Sprachen sprechen. Sie verbindet uns, während sich um uns herum die Welt ein bisschen zu schnell dreht. Die schweren Jahre der Corona-Pandemie sind vorbei, aber jetzt wachsen Hass und neue Unsicherheiten. Politisch geschieht so vieles, über das man gar nicht sprechen möchte. Und das nicht nur in Deutschland oder Polen, sondern auf der ganzen Welt.
Sind gute Freundinnen geworden: Gabi (Pl) und Paula (D)
Während all das passiert, haben wir die Chance bekommen, eine Verbundenheit zu erleben, die Grenzen überwinden und Vorurteile abbauen hilft. Und auch wenn wir oft nicht mehr wissen, wie wir noch Worte der Hoffnung sprechen sollen, ist diese Erfahrung und die Musik für uns vielleicht ein kleines Zeichen, dass da noch mehr ist als Hass und das Schwindelgefühl. Denn “wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an.”